Und erst, wie sie dann abends im Dunkel ihres Zimmers allein sind, erwacht in ihnen die Kinderangst, die Angst vor der Einsamkeit, vor den Bildern der Toten und dann eine ahnungsvolle Angst vor unbestimmten Dingen.
Aber jetzt bricht die Jüngere endlich in Tränen aus, und die Ältere schluchzt wild mit. Eng umschlungen weinen sie, baden sich das Gesicht mit den warmen, zaghaft und dann rascher niederrollenden Tränen, fangen, Brust an Brust, die eine der anderen schluchzenden Stoß auf und geben ihn schauernd zurück. Ein einziger Schmerz sind die beiden, ein einziger weinender Körper im Dunkel.
Immer sind Millionen Menschen innerhalb eines Volkes nötig, damit ein Genius entsteht, immer müssen Millionen müßige W eltstunden verrinnen, ehe eine wahrhaft historische, eine Sternstunde der Menschheit, in Erscheinung tritt.
Die Resignierten, sie sind ja erst die wahren Wissenden.
Kein Künstler ist während der ganzen vierundzwanzig Stunden seines täglichen Tages ununterbrochen Künstler; alles W esentliche, alles Dauernde, das ihm gelingt, geschieht immer nur in den wenigen und seltenen Augenblicken der Inspiration.
Ich weiß ja, daß Du gut bist und hilfreich im tiefsten Herzen, Du hilfst jedem, hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. Aber Deine Güte ist so sonderbar, sie ist eine, die offen liegt für jeden, daß er nehmen kann soviel seine Hände fassen, sie ist groß, unendlich groß Deine Güte, aber sie ist – verzeih mir – sie ist träge. Sie will gemahnt, will genommen sein. Du hilfst, wenn man Dich ruft, Dich bittet, hilfst aus Scham, aus Schwäche und nicht aus Freudigkeit.
Ich weiß, ich muß dann doch wieder allein sein. Und es gibt nichts Entsetzlicheres, als Alleinsein unter den Menschen.
Fürchte Dich nicht vor meinen Worten; eine Tote will nichts mehr, sie will nicht Liebe und nicht Mitleid und nicht Tröstung.
Und eine schreckhafte Gemeinsamkeit ist in den beiden, ohne daß sie zusammen sprechen. Das Schweigen, das undurchdringliche, fraglose Schweigen, der tückische verschlossene Schmerz ohne Schrei und ohne Träne macht sie allen fremd und gefährlich.
Du warst mir – wie soll ich es Dir sagen? jeder einzelne Vergleich ist zu gering, – Du warst eben alles, mein ganzes Leben. Alles existierte nur insofern, als es Bezug hatte auf Dich, alles in meiner Existenz hatte nur Sinn, wenn es mit Dir verbunden war. Du verwandeltest mein ganzes Leben.
Widerstand eines Einzelnen gegen eine Organisation erfordert immer einen viel höheren Mut als das bloße Sichmitreißenlassen, nämlich Individualmut, und diese Spezies stirbt in unseren Zeiten fortschreitender Organisation und Mechanisierung aus.
Nichts Irrtümlicheres als die allzu umgängliche Vorstellung, in dem Dichter arbeite ununterbrochen die Phantasie, er erfinde aus einem unerschöpflichen Vorrat pausenlos Begebnisse und Geschichten. In Wahrheit braucht er nur, statt zu erfinden, sich von Gestalten und Geschehnissen finden zu lassen, die ihn, sofern er sich die gesteigerte Fähigkeit des Schauens und Lauschens bewahrt hat, unausgesetzt als ihren Wiedererzähler suchen; wer oftmals Schicksale zu deuten versuchte, dem berichten viele ihr Schicksal.
So funkelnd, so drohend, so gefährlich sind die Augen der beiden Kinder in die ihren gebohrt, daß sie nicht wagt, ihnen eine Lüge zu sagen.
Es gibt eben zweierlei Mitleid. Das eine, das schwachmütige und sentimentale, das eigentlich nur Ungeduld des Herzens ist, sich möglichst schnell freizumachen von der peinlichen Ergriffenheit vor einem fremden Unglück, jenes Mitleid, das gar nicht Mit-leiden ist, sondern nur instinktive Abwehr des fremden Leidens von der eigenen Seele. Und das andere, das einzig zählt – das unsentimentale, aber schöpferische Mitleid, das weiß, was es will, und entschlossen ist, geduldig und mitduldend alles durchzustehen bis zum Letzten seiner Kraft und noch über dies Letzte hinaus.
Selbst heute, nach Jahren, vermag ich nicht abzugrenzen, wo mein pures Ungeschick endete und meine eigene Schuld begann. Vermutlich werde ich es niemals wissen.
Warum soll ich nicht gerne sterben, da ich Dir tot bin, warum nicht weitergehen, da Du von mir gegangen bist?
Ich trauerte und ich wollte trauern, ich berauschte mich an jeder Entbehrung, die ich mir zu der Deines Anblicks noch auferlegte.
Der kindische Glaube, diese heitere, unbesorgte Blindheit, ist von ihnen abgefallen.